Wenn du deinen Vortrag so vor Publikum präsentieren willst, dass er sich nicht nach Vorbereitung, sondern nach Ereignis anhört, dann spielen Zäsuren im Sprechen eine herausragende Rolle.
Der Begriff „Zäsur“ in verschiedenen Kontexten
Die Zäsuren im Präsentieren eines Vortrags sind eine spezifische Art von Sprechpausen. In anderen Zusammenhängen wird dieser Begriff allgemeiner als „Einschnitt“ definiert, etwa im markanten Wechsel der Lebensphasen eines Menschen, für historische Wendepunkte oder auch in einem Vers, wo die Zäsur ein durch eine Wortgrenze markierter Einschnitt bedeutet.
In der dem Schauspiel verwandten Technik des Vortragens ähnelt die Bedeutung des Begriffs „Zäsur“ am meisten der Definition im Musikbereich, wo er den Einschnitt bzw. Ruhepunkt in der Tonfolge, sowie das entsprechende Notenschriftzeichen benennt.
Das Vortragen (das in seiner gekonnten Ausprägung durchaus als eine Kunst bezeichnet werden darf) kann durch Methoden aus dem professionellen Schauspielbereich wichtige technische Grundlagen und künstlerische Impulse erhalten. Eine dieser Techniken ist der Einsatz von Zäsuren bzw. „Sprechpausen“.
Zäsuren im Präsentieren deines Vortrags sind kürzere oder längere Sprechpausen
Setze, wenn du deinen Vortrag präsentierst, keine rhetorischen Pausen, sondern Sprechpausen, wie es Darsteller im Theater tun. Damit bringst du dein Sprechen, das du zuvor vorbereitet hast, ins Präsens der Vortragssituation. Diese Präsenz eines aktuellen Geschehens macht aus Vor-Tragen ein lebendiges Sich-Äußern.
Was für Zäsuren gibt es?
Analog zum Musikbereich unterscheide ich im Schauspiel wie auch im Vortragen verschiedene Längen von Zäsuren. Es gibt ganze Zäsuren (im Text durch zwei Schrägstriche codiert: //), halbe (ein Schrägstrich: /), viertel (ein Strich: |) und achtel Zäsuren (durch ein V codiert).
Diese Längen der Zäsuren sind nicht objektiv durch eine Zeitangabe definiert. Ihre Längen sind relativ zueinander zu verstehen: eine halbe Zäsur ist (etwa) halb so lang wie eine ganze und (etwa) doppelt so lang wie eine viertel Zäsur. Und auch diese Angaben sind nur eine Art Markierung und bedeuten lediglich einen Hinweis für den Vortragenden.
Besonders interessant ist hier die Achtel-Zäsur: Sie markiert den subtilen Unterschied zwischen dem gebundenen und dem getrennten Sprechen zweier Worte. Das gebundene Sprechen ist dasjenige, das wir normalerweise ausführen. Zwei Worte werden dabei zu einem einzigen zusammengezogen. „Ein Apfel“ hört sich an wie „einapfel“. Eine Achtelzäsur trennt die Worte wieder hörbar voneinander: „EinVApfel.“. In diesem Moment ist der Ausdruck dezidierter (probier es einmal aus!).
Wo solltest du Zäsuren im Präsentieren deines Vortrags setzen?
Die Interpunktion eines Textes gibt dir eine erste Anwendungsrichtlinie der Zäsuren vor. Ein Punkt, Doppelpunkt oder ein Semikolon entspricht meist einer ganzen Zäsur, ein Komma einer halben oder Viertelzäsur. Diese Zäsuren setzt du dir also im Sprechen automatisch gemäß der Interpunktion deines Vortragstextes.
Darüberhinaus aber zeichnet sich ein echtes Vortrags-Skript dadurch aus, dass es dem Sprechenden weitere Zäsuren vorgibt, durch die er dem Sinn seiner Rede Kontur verleiht und ihn unmittelbar erlebbar macht. Am Ende eines jeden Sinn-Abschnitts,markiert eine sogenannte „Schwelle“ den Übergang zum nächsten Sinn-Abschnitt. Diese Schwellen erfordern immer eine Zäsur. Da hier – textlich betrachtet – auch immer ein Punkt gesetzt wird, entsteht dadurch jedoch keine zusätzliche Zäsur im Skript.
Innerhalb eines Abschnitts selbst verläuft das Sprechen auf jedoch auch noch auf verschiedenen sprachlichen Ebenen. Wir sprechen hier von einer Unterscheidung zwischen dem Hauptgedanken und den Einschüben einer Sprechhandlung. Vor und nach jedem Einschub, mit anderen Worten: für das Austreten aus dem Hauptgedanken und für das Wiedereintreten in denselben, muss der Sprechende eine Zäsur machen. Diese Zäsuren sind nicht immer zugleich durch eine Interpunktion im Text (durch ein Komma zum Beispiel) gestützt und somit von dieser unabhängig zu setzen. Hier steht die ganze Bandbreite der Zäsuren (von einer achtel bis hin zu einer ganzen) als mögliche Längen zur Auswahl und die Entscheidung wird von der gewünschten Stärke des Ebenenwechsels abhängen.
Achte darauf, eine Zäsur nicht an einer Stelle zu setzen, an der sie den Sinnbogen eines Gedankens zerstört. Als Beispiel: „Mit einer sonderbaren Logik nimmt der Liebende den Anderen als Ganzes wahr (ähnlich wie das herbstliche Paris), und zugleich scheint ihm dieses Ganze einen Rest zu enthalten, den er nicht aussprechen kann.“ (Aus: Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe). Hier wäre eine Zäsur nach „nimmt“ zum Beispiel sinnbrechend. Sinnvolle und Sinn-unterstützende Zäsuren in dieser Sprechhandlung könnten sein: „Mit einer V sonderbaren V Logik nimmt der Liebende V den Anderen / als Ganzes wahr // (ähnlich wie das herbstliche Paris)//, und zugleich / scheint ihm dieses Ganze V einen Rest zu enthalten,/ den er nicht V aussprechen kann.“
Was bewirken Zäsuren für dich beim Vortrag Präsentieren?
Ganze Zäsuren bieten eine natürliche Möglichkeit zum Atemholen, ohne den Redefluss zu stören. Auch das ist wichtig zu wissen, denn die Aufregung der Vortragssituation bewirkt mitunter ein unnatürliches (und unnatürlich häufiges) Atemholen an Stellen, die den Gedanken „brechen“ und damit den Sinnzusammenhang stören. Umgekehrt aber unterstützen Zäsuren – richtig gesetzt – den Sinn einer Sprechhandlung und können dadurch die Wirkung potenzieren und das Erlebnis der Zuhörer entscheidend mitgestalten.
Aber auch ganz abgesehen von der Wirkung auf das Publikum ermöglichen Zäsuren es in erster Linie dir als Sprechendem die Wechsel der Themenabschnitte und insbesondere die Wechsel der Sprechebenen überhaupt sprachlich zu bewerkstelligen. Im Redefluss kann die Stimme ihre Modulation nämlich nicht verändern! Du brauchst daher dieses „Abbremsen“ in der Zäsur, um deiner Stimme eine neue „Richtung“ und damit eine neue Qualität zu geben.
Durch Zäsuren erhält deine Rede zudem eine prägende Rhythmisierung. Diese kann und muss dem Sinn der Sprechhandlung zuspielen. Was auch bedeuten kann, dass der gewohnte (und oft geleierte) Rhythmus eines Satzes verändert wird. Du fühlst die energetischer und lebendiger, wenn du mit Zäsuren deinen Vortrag präsentierst.
Und schließlich bringen die längeren (ganzen) Zäsuren auch immer wieder Ruhe in deinen Redefluss, der sich sonst – gerade durch Nervosität – zu hektisch entwickeln kann. In dieser „Pause“ kannst du deinen Atem beruhigen und deinen Stimmsitz wieder optimieren (oft wird dieser „hochgerutscht“ sein!).
Welchen Effekt haben Zäsuren bei deinen Zuhörern?
Zäsuren sind – neben den Modulationen der Stimme und den Betonungen – ein sprechtechnisches Mittel, um den Sinn einer Sprechhandlung erlebbar zu machen. Denn Sinn entsteht für deine Zuhörer nicht allein – ja, vielleicht nicht einmal in erster Linie – durch die nominale Bedeutung der Begriffe, sondern ganz entscheidend auch durch die erlebten Wechsel deiner sprachlichen Handlungen und ihrer Sprechebenen. Lebendiges Sprechen heißt im Vortrag deine Gedanken so zu präsentieren, dass Sinn, Sprechabsichten und Verzweigungen hörbar werden.
Darüberhinaus erzeugen Zäsuren Spannung, gestalten Hervorhebungen, bilden suggestive Rhythmen und tragen wesentlich dazu bei, dass sich dein Vortrag nicht nach Überbringen anhört, sondern nach Sich-jetzt-Äußern. Du bewirkst durch eine richtig gesetzte Zäsur Intensität und lenkst die Aufmerksamkeit deiner Zuhörer auf einen entscheidenden Moment.
Die größte Kraft der Zäsur liegt in einem besonderen „Effekt“: sie holt das sprachliche Vortragen ins Hier und Jetzt. In der Zäsur ereignet sich ein – scheinbar spontaner – Umschwung des Sprechens, als wäre dieser durch einen jetzt bei dir aufkommenden Gedanken verursacht. Damit kann sich dein Sprechen von einem Vor-Tragen in ein sprachliches Handeln, in einen geäußerten Gedanken-Weg verwandeln.
Sind die Zäsuren beim Präsentieren eines Vortrags ein rhetorisches Mittel?

Ist damit die Zäsur als besondere Art einer Sprechpause ein rhetorisches Stilmittel des Vortragens? Es mag zunächst überraschen, wenn ich das verneine.
Schauspieltechnische Zäsur versus rhetorischer Pause
Die Rhetorik als Redekunst, welche dazu dient, die Zuhörer zu überzeugen und zu Handlungen zu bewegen, unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von der Sprechkunst eines Darbietenden. In einer Darbietung ist die Zäsur kein bloßer Effekt, um in anderen Menschen Wirkung zu erzeugen. Schauspieltechnisch betrachtet ist die Zäsur der Moment, in dem ein Gedanke im Sprechenden umschlägt, ein Innehalten im inneren Fluss des Denkens, um dann die Richtung zu ändern. Somit ist hier die Wirkung auf das Publikum immer nur Ergebnis eines Umschlags in der inneren Handlung oder in der Handlungsebene des Sprechenden selbst, während die Zäsur als Stilmittel direkt als Effekt eingesetzt wird, ohne notwendige innere Beteiligung, ohne innere Handlung und Erlebnis im Redenden. Man könnte sehr direkt sagen: als rhetorisches Stilmittel ist die Zäsur „leer“.
Was ist der Unterschied zwischen einer rhetorischen Pause und einer Zäsur?
Abgesehen von der Gemeinsamkeit, die ins Auge sticht – es wird für einen „Moment“ in einer Rede nicht gesprochen – sind die Unterschiede bedeutsam:
– In einer Pause wird nicht gesprochen, DAMIT etwas im Publikum passiert. Sie zielt auf eine direkte Wirkung. Eine Pause hat eine Absicht, die im Außen liegt. In einer Zäsur wird nicht gesprochen, WEIL etwas im Sprechenden passiert. Es findet ein Handlungswechsel oder ein Wechsel der Sprechebene statt. Eine Zäsur ist innerlich motiviert.
– In einer Pause lässt man das gerade Gesagte beim Zuhörer einsinken oder bereitet das in Folge Gesagte vor. In einer Zäsur bildet sich der akute Kampf mit dem Zu-Sagenden im Präsens ab.
– Pausen sind eine Entscheidung des Sprechenden. Zäsuren werden dir von deiner Art zu denken und zu sprechen auferlegt, damit dies stimmig zum Ausdruck kommt.
Den Begriff „Zäsur“ hat die Theatermethodik wie gesagt aus der Musik übernommen.
Das Ziel dabei ist die Lebendigkeit des sprachlichen Ausdrucks zu „rekonstruieren“.
Diese Rekonstruktion ist aus mehreren Gründen nötig:
– Bei Schauspielern (offensichtlich): Weil sie nicht ihre eigenen Sätze sprechen, sondern einen Text, der zunächst fremd ist und – ohne deutliche Änderungen – angeeignet wird. Diese Aneignung erfordert eine Rekonstruktion.
– Bei Vortragenden: Auch sie sprechen einen Text, den sie vorbereitet haben. Ihren eigenen Text zumeist. Aber eben einen Text. Der braucht Rekonstruktion, um Sprechen zu werden.
– Bei beiden: Weil die Situation auf der Bühne vor anderen Menschen zu reden, uns noch schneller in konventionelle Sprach- und Stimm-Muster wirft, als wir sie im Alltag sowieso schon benutzen. Das Publikum aber wünscht sich eine Sprache, die sich wie ein Handschuh dem Thema, den Inhalten und der Persönlichkeit des Sprechenden anpasst. Unsere Konventionalitäten erfordern Rekonstruktion.
Professionelle Theatertechniken für Auftritt, Vortrag und Präsentation
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Herzlichen Dank für die Erwähnung und Verlinkung!