Es ist ein Gedanke, der sich mehr und mehr durchsetzt: Präsenz zeigen zu können, macht für Führung und Kommunikation – beruflich wie privat – den entscheidenden Unterschied.
Zum einen, weil Status und Autorität (im Sinne von “Dominanz”) in einer Gesellschaft, die sich zunehmend auf Kompetenz gründet, immer weniger Überzeugungskraft besitzen. Wie immer ist in einigen Kulturen und Kreisen auch das Gegenteil zu beobachten: die Verstärkung oder Wiederkehr von wissens- und kompetenzfeindlichen Machtstrukturen (siehe Amerika und Tendenzen in Europa – von China oder Russland ganz zu schweigen). Dennoch: Ich denke hoffnungsvoll und spreche hier von einem Ideal, für das ich eintrete und womit ich keineswegs alleine bin.
Zum anderen, weil mit Zunahme der Informationsfülle, die jedem Einzelnen zugänglich ist, die Bedeutung persönlicher Präsenz immer größer wird. Präsenz zeigen zu können, entscheidet darüber, ob dein Sprechen im Lärm der Mitteilungen verhallt oder ob es ankommt, andere betrifft – und verändert.
Was ist das: Präsenz? Und was zeigen wir da eigentlich?
Als Dozentin für Schauspiel und als Trainerin für Vorträge arbeite ich mit Methoden und Techniken, die es Menschen ermöglichen, Präsenz “herzustellen”.
Eine Methode ist ein kontrolliertes Vorgehen, ein Wie für ein bestimmtes Was. Von diesem Was, dem Ziel, ist jede Methode, die nur ein strukturierter Weg dahin ist, abhängig.
Daher zunächst die Frage nach dem Wesen von Präsenz (ja, Philosophin bin ich auch).
Abgrenzung: Nicht “Charisma” und auch nicht (nur) “Ausstrahlung”
Es hat den Anschein, als gäbe es verschiedene Namen für “Präsenz”, Synonyme also, die dasselbe meinen, nur in anderer sprachlicher Form.
Hier an erster Stelle: “Charisma”. Das hört sich ein wenig mystisch an, wie eine nicht weiter erklärbare, höchstens nur beschreibbare Eigenschaft bestimmter Menschen, von einigen Wenigen, die “einfach so” diese “Gottesgabe” besitzen.
Ihr zugehörig wird meist “Ausstrahlung” genannt. Diese Eigenschaft ist also manchmal ein Synonym für Charisma oder Präsenz, manchmal nur ein Teil von beidem.
Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass Charisma nicht durch Techniken erworben werden kann. Entweder hat man es oder nicht. Wenn man es nicht besitzt, dann – so einige Coaches – lässt es sich doch (wieder-)finden oder neu erlangen. Durch Coaching nämlich, als einer inneren Arbeit.
Hier sei als Beispiel Karin Seven genannt, die Charisma so erklärt:
“Charisma ist sowohl Ausstrahlung als auch Souveränität, die sichtbar und spürbar ist, eine gewisse Schwingung, die andere Menschen fasziniert.”
Präsenz zu zeigen, würde dann bedeuten, dass man ein Charisma besitzt, das andere Menschen wahrnehmen können: eine Art Energie, die Faszination erzeugt.
Ich teile diese Auffassung, dass Präsenz auf andere Menschen faszinierend wirkt. Und auch ich betrachte Ausstrahlung (die ich im Folgenden näher erkläre) als einen wichtigen Aspekt von Präsenz.
Als Philosophin, Schauspieldozentin und Trainerin ist meine Überzeugung und dreißigjährige Erfahrung: Präsenz ist keine Gabe. Sie ist auch keine Begabung. Präsenz ist eine Fähigkeit, die prinzipiell jeder Mensch besitzt, weil sie zur menschlichen Natur gehört. Aber wenn sie nie aktiviert und genutzt wird oder verschüttet worden ist, dann bedarf es Techniken, um sie als echte Kompetenz zu besitzen: Ein Wissen darum, was zu tun ist und das Können, dieses Wissen auch umzusetzen.
Präsenz zeigen ist erlernbar. Präsenz zeigen ist trainierbar. Und dafür braucht es etwas Theorie und viel Praxis: Verstehen und Üben, um präsent zu sein.
Präsenz äußert sich geistig und körperlich
Präsenz ist keine Frage des Mindsets. Oder sagen wir noch besser: Es ist keine Frage rein des inneren Verhältnisses zu sich selbst und zur Welt im Allgemeinen. Und doch hat Präsenz eine geistige Komponente. Bevor wir Präsenz zeigen, sind wir präsent, weil wir mit unserer Aufmerksamkeit bei der Situation sind, in der wir uns befinden.
Wir sind hier und jetzt da: Offen für die uns umgebenden Menschen, für unser Publikum, das wir wirklich wahrnehmen. Die Umstände, in denen wir uns befinden, bejahend, indem wir sie nicht passiv hinnehmen, sondern aktiv mit gestalten. In Kontakt mit etwas, das uns wichtig ist – einem Thema, einem Anliegen, einer Absicht. Und deswegen auch in Kontakt mit uns selbst. Richtig, ich bin überzeugt, wir kommen über unser Interessiert-sein, über Betroffen-von-etwas-sein, über etwas, das nicht “Ich” ist, in Kontakt mit uns selbst. Vermittelt also.
Vielleicht war es das, was auch Goethe in dem ihm zugeschriebenen Ausspruch meinte: “Vervollkommne nicht dich, sondern dein Werk.” (Goethe, Maximen und Reflexionen / Sprüche in Prosa – postum)
Nun, ehrlich gesagt, brauche ich auch nicht unbedingt die Autorität Goethes, um meine Behauptung zu begründen. In Wirklichkeit ist sie das Ergebnis meiner Beschäftigung mit Anthropologie und meiner ureigenen Erfahrung mit Leben und Theater-Kunst.
Darüberhinaus bedeutet Präsenz zu zeigen, dass dieser innere Vorgang des Präsentseins notwendig auch zum Ausdruck kommt. Präsenz an sich ist ihrem Wesen nach immer körperlich. Deshalb nehmen andere Menschen dies wahr und erleben uns als präsent. Der körperliche Ausdruck ist nichts, was zur inneren Präsenz hinzu kommt, nichts, was manchmal da ist und manchmal nicht.
Präsenz ist die Übereinstimmung des Ausdrucks mit dem, was du in dieser Situation bist. Deshalb benennen manche Präsenz auch mit den Begriffen “Echt-Sein” oder “Authentizität”. Wenn damit Kongruenz gemeint ist, das Zusammenstimmen von Innen und Außen, dann sehe ich das genauso. “Ausdruck” aber ist körperlich: Stimme, Haltung, Mimik, Gestik, Blick. Schauen wir, was das fürs Präsenz zeigen konkret bedeutet.
Präsenz zeigen heißt Ausdruck: Der präsente Körper
Wir zeigen unsere Präsenz nicht, indem wir den Körperausdruck bewusst formen, gar optimieren. Ja, ich weiß, entgegen anderslautender Tipps, die so kursieren. Kein “Schulter zurück”, kein “Brust raus”, kein Kopf, der “an einem Bindfaden hochgezogen” wird.
Die Energie körperlicher Präsenz: Aufspannung und Entspannung
Gehen wir den präsenten Körper von unten nach oben durch:
- Die Füße ruhen mit der gesamten Fußsohle in beckenbreitem Abstand auf dem Boden auf. Der Schwerpunkt befindet sich in direkter Linie unterhalb der Fußknöchel, also im vorderen Fersenbereich.
- Die Knie sind locker und (ganz wichtig!) nicht durchgedrückt. Sie bilden daher eine gerade Linie mit den Fußknöcheln.
- Das Beckenoval ist am vorderen Beckenrand leicht angehoben. Hier unterscheiden wir zwischen 3 Stellungen:
- Wenn der vordere Beckenbereich nach vorne-unten zeigt und damit auch die untere Wirbelsäule ins Hohlkreuz zieht, dann blockieren wir unseren Körper für Ausdruck. Dieser kann nur noch willentlich und nicht kohärent ausgeführt werden.
- Wenn sich der vordere Beckenbereich auf derselben Höhe wie der hintere an der Lendenwirbelsäule befindet, dann sind wir in der “neutralen” Körperaufrichtung: entspannt, wahrnehmend, abwartend.
- Heben wir nun den vorderen Beckenrand noch etwas weiter an, indem wir das Schambein nach hinten-oben Richtung Wirbelsäule ziehen, dann entsteht ein energievollerer Ausdruck. Der Ausdruck eines Menschen, der etwas vorhat. Das ist die präsente Aufrichtung, die Aufmerksamkeit erzeugt.

- Sowohl in der neutralen als auch in der präsenten Aufrichtung ist die Wirbelsäule bis zum Nacken gerade. Wir haben sie nicht nach hinten gezogen (wie im Hohlkreuz) und nicht mit nach vorne gekippt.
- Die Schultern sind nicht nach hinten gezogen. Sie sind tief, ohne aktiv heruntergedrückt zu werden.
- Der Brustraum wölbt sich nicht vor. Er ist weit “geöffnet”, als ob jede Brusthälfte wie ein Fensterladen aufgeklappt wäre. Hier im Brustraum sind wir entspannt! Ohne Kraft-Pose. Genau diese Entspannung bei aufgerichtetem Beckenrand zeigt: Souveränität.
- Der Hals ist gerade und lang. Nicht weil ihn ein Bindfaden am Kopf imaginär hochzieht, sondern weil die gerade Wirbelsäule ihn aus dem angehobenen Becken heraus hochdrückt.
- Der Kopf ruht locker auf dem Hals auf, mit der Kinnpartie parallel zum Boden, mit lockerem Kiefergelenk und mit weichen, “runden”, großen Augen.
“Oh”, wirst du sagen, “da muss ich ja an extrem viel denken und bin viel bewusster und sogar kontrollierender, als je zuvor!” Natürlich bist du das, solange dein Körper noch in die gewohnte, nicht-präsente Haltung zurück tendiert. Du wirst dich am Anfang also oft wahrnehmen, beobachten und korrigieren, bis diese entspannte Aufrichtung als das neue Normal abgespeichert ist. Das dauert übrigens gar nicht so lange. Denn zum einen ist sie physikalisch richtig und angenehm für unseren Körper, insbesondere die “neutrale Aufrichtung”. Aber auch die energetische mit weiter hochgezogenem Beckenrand entspricht dem inneren Zustand des “Auftretens” und ist somit kongruent zu unserem Inneren, wenn wir etwas beabsichtigen und nicht bloß beobachten.
Unsere Präsenz wird für andere (und für uns selbst!) erlebbar, wenn unser Körper in eine entspannte Aufrichtung geht und dabei Energie ausstrahlt, weil er im Beckenbereich Körperspannung aufbaut.
Wir können dann von einem “handlungsbereiten Körper” sprechen, der zeigt, dass wir im Hier und Jetzt eine Absicht haben. Deshalb werden Menschen aufmerksam und erwarten etwas von uns.
Der Blick-Kontakt: Nimm´s persönlich!
Unser eindrucksvollstes Mittel, um in der Wahrnehmung anderer Präsenz zu zeigen, das ist unser Blick. Aber nur dann, wenn wir ihn freigiebig und aus Interesse nutzen.
Was meine ich damit: Das bloße Hinsehen ist kein Blick. Aus bloßem Schauen entsteht kein Kontakt. Jeder echte Blick ist “freigiebig”, weil du damit auch dich den Angeblickten zeigst. Na ja, das wolltest du auch: für sie präsent sein. Ohne diese Öffnung nach außen ist das nicht möglich.
Bleibe hier also nicht formell. Suche die Augen der anderen Menschen mit deinem Blick und verweile dabei so lange, wie es sich für dich stimmig anfühlt: Kein starres Bohren deiner Augen ins Gegenüber und auch kein flüchtiges Streifen und Drüberhuschen.
Die Intention deines Blicks ist dabei ebenso ausschlaggebend. Es funktioniert tatsächlich nur, wenn dich Interesse, eine Art von Zu-Neigung, zum Hinblicken bewegt. Tut mir leid, anders geht es nicht. Ein echter Blick, der Präsenz zeigt und damit Kontakt herstellt, geschieht nicht nur weil es sich gehört, andere Menschen anzuschauen, wenn wir miteinander reden. Er ist Ausdruck von Zugewandtheit und gehört damit – auch unter Fremden! – zu unserer Art, Zuneigung zu bekunden.
Natürlich gibt es auch andere Weisen des Augenkontakts. Es gibt sogar aversiven Kontakt, in dem wir andere Menschen aus unserer Privatsphäre ausgrenzen. Und dennoch: Wir zeigen auch hier Präsenz! Wir zeigen, dass uns der andere Mensch angeht, wenn auch negativ.
Die Stimme und der Atem
Wenn wir vor Fremden auftreten und die Aufregung darüber negativ empfinden, dann machen wir uns fest. Vor allem im Kieferbereich und im Brustraum. Dann atmen wir meist nicht tief ein und nicht vollständig aus, nicht bis zu dem Punkt, wo der Körper von sich her den Impuls zum erneuten Einatmen geben würde. Bei dieser flachen Atmung rutscht dann auch der Sitz der Stimme höher. Die Stimme trägt nicht und verliert an Ausdrucksmöglichkeiten. Und dabei sitzt die Kraft, die dich präsent zeigt, genau in der Ausatmung.
Achte daher darauf, dass du tief einatmest und in der Ausatmung das Gefühl hast, zu wachsen anstatt einzufallen. Im Ausatmen nämlich nimmt dein Zwerchfell mehr Raum ein (als im Einatmen, wo deine sich füllenden Lungen es nach unten drücken), die Körperspannung im Beckenbereich entfaltet sich und lässt dich über die Wirbelsäule “wachsen”.
Deine Stimme braucht diese Körperspannung beim Sprechen. Du sprichst ja während du ausatmest. Wenn du hier spannungslos oder verspannt und fest bist, erreicht deine Stimme keine Weite, keine Kraft und keine Modulationsfähigkeit. Sie wird sich auch höher anhören, vielleicht sogar schrill und bemüht.
Deine Souveränität, die zur Präsenz immer dazugehört, kann so weder entstehen noch sich zeigen.
Nutze den Moment vor dem Beginn deines Sprechens und auch jede Pause, die du im Sprechen machst, um bis in den Bauch hinein einzuatmen und im Ausatmen dein Zwerchfell über Körperspannung erneut zu aktivieren. Dann kann es dich im Sprechen (unter-)stützen.
Kontrolle und Konvention

Es scheint mir so zu sein, dass unser Bewusstsein eine extrem schlechte Instanz ist, um unsere körperliche Präsenz zu formen. Denn unser Ausdruck interessiert andere Menschen, zieht sie an, fasziniert sie, wenn er natürlicher, lebendiger Reflex von inneren Vorgängen ist. Das Geformte daran macht uns misstrauisch und stößt ab.
Was also tun? Nun, geh einen Schritt weiter zurück, dahin, wo überhaupt Ausdruck erst entsteht, zu seinen Bedingungen. Das ist ein präsenter und handlungsbereiter Körper in entspannter Aufrichtung. Diesen Körper nennen wir im professionellen Theaterbereich auch einen “durchlässigen” Körper, weil der Ausdruck nicht bewusst geformt, sondern als Aus-druck von Ein-drücken nur – stimmig – durchgelassen wird. Ohne die gestaltende Kontrolle unseres Bewusstseins, das, und jetzt kommt´s: einen enorm hohen konventionellen Anteil hat.
Wir finden schön, passend, gut und sinnvoll, was sich in unserer Kultur als “normal” etabliert hat, zumindest im Grunde. Gesellschaftlich betrachtet bedeutet dies: Wir eichen uns gern selbst auf eine Norm, oft inzwischen schon unbewusst.
Wenn dir diese Einführung Sorge bereitet, dann sei jetzt beruhigt: Präsenz körperlich zu zeigen, bedeutet immer, in einem gewissen Maß aus der Norm herauszutreten. Es geht nicht anders. Dies aber nicht durch exaltierte, gewollte Choreografien, sondern durch die wahrnehmbare Individualität deines Inneren in diesem Augenblick und an diesem Ort, hier und jetzt, im Präsens der Präsenz.
Präsenz zeigen zu lernen heißt, den Körper in den Zustand des Ausdrückens deiner Persönlichkeit zu versetzen – und es ihm auch zu erlauben. Bedeutet, ihn dies “machen zu lassen”. Hab keine Sorge: Er wird dich nicht verraten wie ein Verräter. Er wird dich verraten, indem er dich … zeigt.
Präsenz zeigen heißt Handeln: Die mentale Präsenz
Wenn Präsenz zu zeigen ein Ausdruck ist, dann hat dieser seinen Ursprung in einem inneren Eindruck, einem Erleben, das sich ausdrückt. Damit Präsenz echt und lebendig wirken kann, muss sie es sein. Hier ist kein Tricksen möglich. Jedes “Fake it till you make it” ist Kinderkram und wird als solcher entlarvt. Glaub mir, es gibt professionellere Wege.
Wo? Im Theaterbereich! Neben Ausdruckstechniken (wie ich sie dir oben für die körperliche Präsenz genannt habe) kennen wir Techniken, um das eigene innere Erleben, um Eindrücke hervorzubringen und zu gestalten. Das ist der Kern von Schauspielkunst.
“Na toll, Danke für nichts. Denn ich bin und will kein Schauspieler sein!”, denkst du jetzt. Dein Sein und Wollen ist richtig, aber jeder Mensch kann hiervon massiv profitieren (und Auftretende, Vortragende, Präsentierende insbesondere!): Von der Fähigkeit, sein eigenes Innenleben so zu beeinflussen, dass es sich in einer Darbietung konstruktiv verhält. Dass es den besten Ausdruck initiiert. Dass es dein Anliegen untermauert. Dass es dich – trotz deines Ausgestelltseins vor Fremden – trägt, stützt und verlebendigt.
Was heißt hier “Handeln”?
Ich spreche jetzt als Schauspieldozentin und Regisseurin zu dir, nicht als Psychologin (die ich nicht bin). Mein Zugang ist hier nicht wissenschaftlich, sondern praktisch: Unser Inneres wird in seinem Erleben nicht durch Sprechblasen, autosuggestive Mantras oder Ähnlichem bestimmt, sondern durch unsere eigenen Handlungen.
Diese haben einen unglaublichen Rückkopplungseffekt und geben uns selbst starke Eindrücke. Also: Handle! Handle richtig. Und handle das Richtige.
Zu handeln bedeutet nicht, den Körper zu bewegen oder Mimik und Gestik auszuführen. Eine Handlung ist definiert durch eine Absicht, die eine bestehende Situation verändern will (wir kommen gleich darauf zurück!). Das ist auch sprachlich so.
Gemeinhin glauben viele, dass Sprechen immer ein Informieren ist. Weit gefehlt! In den allerwenigsten Situationen informieren wir andere. Hier gibt es ein wunderbares Werk des britischen Sprachphilosophen John Langshaw Austin, “How to do things with words”. Darin stellt Austin mehr als 20 verschiedene Handlungen fest, die wir sprechend “tun”. Es gibt die “performativen Handlungen”, ein Spezialfall, bei dem allein durch das Aussprechen bestimmter Worte und Formel etwas getan wird. Zum Beispiel: “Ich schwöre …”, “ich verspreche …”. “ich taufe dich …” Aber darüber hinaus tun wir immer etwas, wenn wir sprechen (und nur seltenst informieren wir): wir loben, wir drohen, wir begründen, wir zweifeln an, wir behaupten, wir entschuldigen, wir warnen, wir schmeicheln usw.
Und jetzt, bezogen auf “Präsenz zeigen”, bedeutet es, dass du mental präsent bist: Sprich in deinen Vorträgen und Präsentationen nicht wie jemand, der den Sach-Inhalt schon kennt, der ihn vorher vorbereitet hat (obwohl es so ist), sondern verwandle deinen Inhalt in einander ablösende sprachliche Handlungen. Nicht indem du den Inhalt nominell veränderst, etwas weglässt oder hinzufügst, sondern, indem du ihn als Handlung weißt, erlebst und sprichst.
Du legst fest, welche Sätze zusammen genommen welche Handlung ergeben und dann sprichst du sie als diese Handlung aus. Sie entstehen damit jetzt, obwohl sie vorformuliert sind oder zumindest als Stichpunkte schon zuvor bestanden. Obwohl du das zuvor geübt hast. Obwohl du sogar weißt, was du als nächstes sprechend tun wirst. … Der Effekt auf dich und dein Publikum ist: Präsenz.
Die attraktive Absicht: “Wolle!”

Das Besondere an dieser Technik, dein Sprechen zu handeln, ist: Du entwickelst alle paar Sätze eine neue Absicht. Handlung und Absicht sind, in der praktischen Arbeit des Theaters, die sich in großen Teilen an der Theorie von Konstantin Sergejewitsch Stanislawski orientiert, Synonyme. Oder richtiger formuliert: Die Absicht ist die Eindrucks-Seite jeder Handlung, während die Verkörperung (Bewegung, Mimik, Gestik) ihre Ausdrucks-Seite ist. Du zeigst also Präsenz, wenn du präsent bist, indem du beim Sprechen innerlich aufeinander abfolgende Absichten produzierst.
Dieses Absicht-Haben macht dein Sprechen lebendig und persönlich. Es findet nämlich im konkreten Hier und Jetzt statt, im Präsens der Situation. Und sowohl die Wahl deiner Absichten als auch die Art und Weise, in der du sie ausführst, charakterisiert dein Sprechen individuell, als eine persönliche Äußerung.
Wenn sich in Theaterproben ein Text flach, formell, papierartig anhört, dann gibt es bei mir die (nur zum Teil scherzhafte) Anweisung: “Wolle!” Was heißen soll: Gib mir nicht die Worte, gib mir das, was die Figur beabsichtigt, indem sie das sagt. Lass mich das erleben. Zeige Präsenz!
Kontakt zum Thema ist Kontakt zu sich
Ach, das berühmte “Bei-sich-Sein”. Darüber muss ich an dieser Stelle ein paar Worte verlieren. Denn in vielen Ratgebern zu “Präsenz” und “Wie Präsenz zeigen?” kommt die Empfehlung, man solle bei sich sein oder bleiben, dann wirke man auch automatisch auf andere präsent. Ich möchte das nicht explizit kritisieren.
Aber dies dagegen setzen: Präsenz lebt von der Öffnung deiner Person nach außen. Das macht ihre Attraktivität aus. Sie lebt von Begeisterung und Leidenschaft, von einem Anliegen und Wollen, das über dich hinausweist, von deinem Interesse für und deiner Zugewandtheit an dein Publikum.
Dann, und nur dann, bist du auch ganz bei dir. Paradoxerweise also dann, wenn du als ganze Person bei etwas anderem als dir selbst bist. Nenn es “Hingabe”, nenn es “Sich-in-den-Dienst-einer-Sache-stellen”, nenn es “Ergriffen-sein”. Du zeigst Präsenz, wenn du innerlich bei etwas anderem bist als bei deiner eigenen Person, aber dein ganzes Wesen, deine Persönlichkeit, in diesem Moment investierst.
Die Technik des sprachlichen Handelns hält dich mit deinem Thema in Kontakt, auch mit dem Publikum und unterbindet jede Beschäftigung mit dir selbst. Dafür ist im Hier und Jetzt des Handelns einfach kein Raum und keine Zeit. Insofern bist du durch deine Absicht, durch dein Wollen, ganz beim anderen – und nur dadurch auch ganz bei dir. Dieses Letztere ist nur der indirekte Effekt von … Leidenschaft.
Sprechen im Hier und Jetzt
Präsenz zu zeigen im Sprechen bedeutet, handelnd, deine Gedanken auseinander hervorgehen lassend, im Hier und Jetzt zu formulieren. Als Konsequenz verbietet sich jedes konventionelle Gerede. Nicht nur verdeckt dieses deine Persönlichkeit und damit die Individualität deines Anliegens, es bringt auch ein massives “Perfekt” mit hinein.
Jede Konvention ist eine sich über lange Zeit hinweg etablierte Übereinkunft, wie etwas ausgedrückt wird. Im Zurückgreifen auf konventionelle Formulierungen gibst du deiner Rede den Anstrich von Vergangenem, Herkömmlichem – von Vorbereitetsein. Und raubst ihm damit das Präsens des Ereignisses, das es sein sollte.
Konventionen aber sind für uns selbst gar nicht so leicht zu erkennen. Sie wirken so selbstverständlich als einzig sinnvolle Lösung, dass uns ihre Phrasenhaftigkeit schnell entgeht.
Wie oft hast du das schon gehört: “Ich möchte mich an dieser Stelle bedanken …”, “lassen Sie mich noch ein paar Worte hinzufügen …”, “zum Abschluss möchte ich noch darauf hinweisen …” und – natürlich – “Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“.
Lass das. Überlege dir in der Vorbereitung deine Formulierungen, indem du bereits jetzt in Gedanken sprachlich handelst. Bleib nah an deinem persönlichen Sprechen, misstraue und eliminiere Floskeln, die deine Zuhörer in die Vergangenheit der konventionellen Übereinkunft schicken.
Um Präsenz zu zeigen, braucht es Formulierungen, die sich anhören, als würden sie jetzt, laut denkend, erst entstehen. Und diese findest du, indem du genau das tust: In der Vorbereitung laut denkend zu formulieren.
Präsenz zeigen heißt: Innerlich präsent sein und dies zum Ausdruck bringen
Wenn dies gelingt, dich im Erleben im Hier und Jetzt zu halten, indem du dein Sprechen handelst und deine Absicht verkörperst, indem du einen durchlässigen Körper bildest, … wenn all dies gelingt, dann erleben andere Menschen etwas Besonderes, Unvergessliches bei deinem Auftritt.
Aber auch du selbst fühlst dich anders. Anders als in all den bekannten Situationen, die dich auf einer “Bühne” ausstellen – und sei es auch “nur” auf der Online-Bühne deiner Meetings und Webinare.
Die Wirkung auf dich selbst: sich als präsent erleben
Deine Präsenz hat nicht nur eine Wirkung nach außen, obwohl diese vielleicht diejenige ist, an die wir zuerst denken, weil sie uns offensichtlich nützt: Präsenz zu zeigen, befördert deine Wirkung, um gesteckte Ziele zu erreichen.
Deine Präsenz hat auch eine außerordentlich starke Wirkung auf dich selbst – und vielleicht ist diese sogar noch wichtiger.
Dein Körper wird dich unterstützen, weil du dich wohl fühlst. Deine Wahrnehmung deiner selbst ist Echtheit, Sicherheit, Stabilität und Energie. Du bist – obzwar auf einer Bühne – der Situation nicht ausgesetzt, vor den Augen anderer nicht ausgestellt. Du bist … zu Hause. Und dieses Gefühl ist grundlegend, um in diesem Moment das Beste aus dir herauszuholen. Eine meiner Klientinnen im Präsenztraining hat den wunderbaren Satz formuliert: “Was soll mir jetzt noch passieren?”
Diese Selbstempfindung von Authentizität gepaart mit Souveränität entsteht aus deiner körperlichen Präsenz. Für dich. Für andere natürlich ebenso. Aber deine Körperwahrnehmung ist mindestens genauso entscheidend.
Dein Kopf ist bei der Sache, wenn du handelst. Anstatt dich mit deiner Wirkung zu beschäftigen und dich in Mutmaßungen über dein Bild in den Köpfen der anderen zu verlieren, bist du bei deinen Absichten, bei deinen Handlungen, bei deinem Anliegen. Diese Selbstvergessenheit ermöglicht dir Fokus und zugleich das wirkliche Wahrnehmen deines Gegenübers.
Denn dein Publikum ist dann nicht Richter deiner Darbietung, unbekannter Erzeuger unerklärlicher Bewertungen (die du ihm unterstellst oder die du vermutest). Dein Publikum ist dein Partner und Zeuge deiner Auseinandersetzung mit deinem Thema. Die mentale Sicherheit im Durchlaufen der einzelnen Handlungsschritte befreit dich so weit, dass du es dir – sicher, souverän und entspannt – leisten kannst, in unmittelbaren Kontakt mit deinen Zuhörern zu treten. Denn deine Handlungsabfolge gibt dir die Freiheit der Improvisation, der Zwischenhandlungen mit deinem Publikum, der Exkurse zu dem, was sich gerade in der Situation zwischen euch ereignet.
Die Wirkung auf andere: Ausstrahlung und Anziehung

Ja, natürlich: Präsenz bringt eine starke Wirkung nach außen. Diese Wirkung ist sogar für die meisten Menschen das alleinige Ziel, das sie erreichen wollen, wenn sie Präsenz zeigen. Gleichzeitig aber werden sie in der Formulierung, worin diese Außenwirkung bestehen könnte, extrem vorsichtig.
Hier wird davon gesprochen, sympathisch zu wirken, überzeugend, souverän, motivierend, inspirierend. Was dabei vermieden werden soll, ist, der Präsenz eine Wirkung in Richtung Manipulation oder Verführung zu geben. Weil das im Businesskontext, im wissenschaftlichen auch, nicht statthaft ist. Hier soll Vernunft regieren.
Das verkennt, dass wir Menschen uns nur zu einem sehr kleinen Teil von Vernunft bestimmen lassen. Bei Entscheidungen spielen Emotionen die Hauptrolle und das betrachte ich keineswegs kritisch. Wir sind soziale Wesen mit einer auf Resonanz angelegten psychischen Struktur. Diese Resonanz, dieses Bedürfnis, sich zu verbinden, bestimmt uns. Wir suchen die Nähe und die Zusammenarbeit (im weitesten Sinne) mit Menschen, die sich “gut anfühlen”, in deren Umgebung wir uns gut fühlen.
Das geschieht in dem Moment, wenn jemand Präsenz zeigt: Dieser Mensch wird enorm sichtbar für andere, er erscheint – für eine Weile – als Hauptfigur auf ihrer Lebensbühne. Zunächst einmal bedeutet Präsenz also, dass du eine Strahlkraft nach außen entfaltest. Aber es ist eine Ausstrahlung, die keinem sichtbaren Handeln entspringt, und sich scheinbar allein deinem bloßen Da-sein verdankt.
Das lässt uns vorsichtig werden im Formulieren der Außenwirkung.
Denn so sehr auch wir selbst Präsenz wahrnehmen und ihrem Einfluß erliegen, so sehr sträubt sich dagegen etwas in uns. Wir wehren uns gegen diese vermeintliche Beeinflussung jenseits der Vernunft. Es gibt ja gar keinen berechtigten Grund, uns in den Sog einer fremden Existenz ziehen zu lassen. Etwas anderes wäre da eine sachlich begründete Autorität, ein Vorsprung an Wissen, Erfahrung oder Können, dem man sich vernünftigerweise anvertrauen könnte. Aber genau das ist hier ja nicht der Fall, oder jedenfalls ist es nicht das allein und vor allem nicht wesentlich das.
Eine solche a-vernünftige (nicht unvernünftige!) Wirkung, diese “Ausstrahlung”, die dem präsenten Menschen die Hauptrolle auf fremden Lebensbühnen gibt, muss man richtigerweise Faszination nennen. Es ist eine Ausstrahlung, die anzieht. Und genau das macht sie so machtvoll. Menschen wollen Teil unseres Universums werden, wenn wir Präsenz zeigen. In dieser nicht rationalen Anziehung der Präsenz liegt ihre Verführungskraft. Und darin liegt auch die Verantwortung desjenigen, der Präsenz zeigt.
Wer präsent ist, sich dabei seiner selbst und seiner Absichten bewusst ist, wer sich körperlich in die Lage versetzt hat, sein Ziel mit dem genau richtigen Maß und der stimmigen Art von Energie zu erreichen, der flößt Respekt und Vertrauen ein. Aber wahrer Präsenz gelingt ein weit darüber hinausgehender Impact auf ihr Gegenüber: es ist die Energie der Faszination, des Mitreissens und Begeisterns. Der präsente Mensch macht andere nicht nur tun, sondern wollen, was er vorschlägt. Das ist nichts anderes als … Verführung!
Natürlich gibt es darin eine Verantwortlichkeit, wenn du verführst: es darf nicht nur zu deinem Besten sein, sondern soll auch die Verführten zu etwas Gutem, Sinnvollem, Schönem oder zumindest Fröhlichem führen. Die Verführung ist das Faszinieren anderer, das Mitnehmen auf ein gemeinsames Ziel hin, bei dem deine Energie und Absichten überspringen und anstecken.
Um Präsenz zu zeigen gibt es Techniken: körperliche, mentale, sprachliche
Das Verrückte ist: Wir Menschen sind alle fähig, berührt, verführt, begeistert zu werden, ja, wir wünschen auch, dass uns das widerfährt. Und noch besser: Wir alle können das auch in anderen auslösen – im Prinzip. Das ist Menschennatur, unsere Konstitution, unser Wesen.
Je nach den Umständen, die unser Leben geprägt haben, je nach der Umgebung, der Sozialisierung, auch der Erziehung (vor allem der schulischen und beruflichen Ausbildung), verschwindet diese grundsätzliche Fähigkeit mit der Zeit. Sie ist in den allerwenigsten Fällen etwas, das die Gesellschaft fördert, denn die Integration, die Anpassung in ein soziales Netz, bedeutet ein Sich-Zurücknehmen: nicht auffallen, nicht eigen-artig sein, Rationalität walten lassen.
Daher braucht es dann Techniken, die uns wieder in die Lage versetzen, das zu können und mutig einzusetzen, was wir dem Wesen nach sind: faszinierende Individuen, die sich auch von anderen Individuen faszinieren lassen wollen.
Diese Techniken sind kein Hokuspokus, wie ja auch “Präsenz” weder Gabe noch Begabung ist. Sie sind sehr konkret, verständlich und praktisch umsetzbar. Bis sie allerdings (wieder) natürlich, unmittelbar und ohne nachzudenken funktionieren, das kann eine Weile dauern – abhängig davon, wie oft du sie übst und anwendest.
Das sind die verschiedenen Techniken, basierend auf meiner Methode der Arbeit mit Schauspielern: Techniken für körperliche Bühnenpräsenz, Techniken, die Text in Handlung verwandeln, Techniken, die diese sprachliche Handlungen authentisch in ein Erlebnis für andere umsetzen.
